Heute, am 03. Dezember, ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung.
Ins Leben gerufen wurde er im Jahr 1992 von den Vereinten Nationen mit dem Ziel
sich für die Würde, Rechte, Inklusion und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung einzusetzen.
Seit 1993 greifen ihn viele Behinderten- und Sozialverbände sowie Aktivist*Innen mit entsprechender Intention auf, um jährlich auf die politischen Interessen von Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen.
Zahlen und Fakten
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2023 rund 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland – das sind etwa 9,3 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Inklusion
Ziel des Aktionstages ist es, Inklusion auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu fördern – in Bildung, Arbeitswelt, Politik, Kultur und Freizeit. Menschen mit Behinderungen sollen die gleichen Chancen und Möglichkeiten erhalten wie alle anderen.
“Inklusion heißt, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen vollständig teilhaben können.”
Doch noch immer stoßen viele auf sichtbare und unsichtbare Barrieren: fehlende Barrierefreiheit, Vorurteile, Ausgrenzung oder strukturelle Hürden. Inklusion bedeutet, diese Barrieren abzubauen – im physischen wie im sozialen Sinne.
Im Grundgesetz ist seit 1994 festgeschrieben, dass:
„niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf“.
Vorbilder für Mut, Kreativität und das Voranbringen einer inklusiven Gesellschaft
Mit unserer Beitragsreihe stellen wir Personen in den Vordergrund, die mit sichtbaren und unsichtbaren Barrieren konfrontiert waren und und gleichzeitig in Bezug auf politisches Engagement, Voranbringen von Inklusion und feministischer Kunst wichtige Vorbilder in unserer Gesellschaft geworden sind. Barrieren, Behinderung und Chancen sind in unserer Gesellschaft ungleich verteilt, weshalb sich Lebenswege unterscheiden. Wir hoffen, mit der Reihe zu informieren und im besten Fall zu empowern.
Jede*r Mensch und jede Situation ist anders und viele leisten einen wichtigen Beitrag für ihre Umwelt, ohne, dass sie damit im Rampenlicht stehen!
Im Dezember stellen wir jeden Montag eine neue Persönlichkeit hier auf der Webseite und auf unserem Instagram Account vor. Also seid gespannt und schaut rein.
Schaut auch gerne ab dem 10. Dezember auf unserer Webseite zum Tag der Menschenrechte vorbei (Link folgt).
BETTY HIRSCH
Frühe Jahre und Erblindung
Betty Hirsch wurde am 15. Januar 1873 in Hamburg als jüngstes von acht Kindern des jüdischen Kaufmanns Meyer Hirsch und seiner Frau Sara geboren.
Ein Sturz im Garten führte in ihrem zwölften Lebensjahr zu einer schweren Augenerkrankung. Trotz zahlreicher Behandlungen konnte ihr Sehvermögen nicht erhalten werden, und nach einer Operation erblindete sie mit etwa 17 Jahren vollständig.
Diese einschneidende Erfahrung prägte ihr Leben. Betty Hirsch wollte nicht als hilflos gelten und suchte früh nach Wegen, ihre Selbstständigkeit zu bewahren. Später schrieb sie:
„Als man aber anfing, mir mit jeder geringen alltäglichen Arbeit … helfen zu wollen, erwachte ein Wille von Selbständigkeit in mir, der mir half, mein weiteres Schicksal mit Würde zu tragen.“
Ausbildung und beruflicher Weg
Mit rund 21 Jahren trat Hirsch in die Preußische Blindenanstalt Berlin-Steglitz ein. Dort lernte sie Blindenschrift, erhielt Unterricht in Musik, Literatur und Englisch und erlernte handwerkliche Fertigkeiten wie Korb- und Stuhlflechten. Da sie sich in diesem Umfeld nicht vollständig zugehörig fühlte, strebte sie nach einer weiterführenden Ausbildung und begann ein Musikstudium am Berliner Konservatorium. Dieses finanzierte sie sich durch Privatunterricht bei blinden Kindern.
Nach dem Studium arbeitete sie als Konzertsängerin und unternahm mehrere Konzertreisen. 1907 erlitt sie infolge der hohen Belastung einen Nervenzusammenbruch und orientierte sich neu. Sie absolvierte ein Sprachstudium in London und unterrichtete anschließend wieder blinde Kinder aus wohlhabenderen Familien in Hamburg und Berlin.
Gründung der Schule für Kriegsblinde
Der Erste Weltkrieg brachte eine entscheidende Wende in Hirschs Leben. Während eines Aufenthalts in London hörte sie erstmals vom Begriff der „Kriegsblinden“. Zurück in Berlin nahm sie Kontakt zum Augenarzt Prof. Paul Silex auf. Gemeinsam gründeten sie am 22. November 1914 die erste Privatschule für Kriegsblinde in Berlin.
Ihr Ziel war es, die im Krieg erblindeten Männer nicht in die Abhängigkeit von Fürsorge zu entlassen, sondern ihnen eine berufliche Zukunft zu ermöglichen. Hirsch unterrichtete zunächst fünf kKriegsblinde Männer ehrenamtlich in blindenspezifischen Fertigkeiten. Bald vermittelte sie ihre Schüler an Arbeitsstellen, unter anderem in Fabriken wie AEG und Siemens, wo sie als Schreibkräfte, Telefonisten oder Handwerker beschäftigt waren.
Bis zum Ende des Krieges hatte die Schule über 250 Schüler ausgebildet. Hirsch legte besonderen Wert auf büro- und verwaltungstechnische Berufe, die den blinden Menschen langfristige Perspektiven eröffneten. Ihre Schule erlangte internationale Anerkennung; bei einem Besuch in den USA wurde sie vom Präsidenten als die „deutsche Helen Keller“ bezeichnet.
Exil und Rückkehr nach Deutschland
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 änderte sich Hirschs Leben erneut. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft war sie zunehmend bedroht und floh 1934 nach England, wo sie 13 Jahre im Exil verbrachte.
Während ihrer Abwesenheit übergab sie die Leitung ihrer Schule an ihren Stellvertreter Thiermann, der aus Opportunismus der SA beitrat, um den Fortbestand der Einrichtung zu sichern. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Betty Hirsch 1947 nach Deutschland zurück. Ihr Versuch, die Schule – inzwischen unter dem Namen „Silex-Handelsschule“ wiederzueröffnen, scheiterte jedoch an bürokratischen Hürden.
Späte Jahre und Tod
In ihren späteren Lebensjahren erhielt Betty Hirsch öffentliche Anerkennung für ihr Wirken. Anlässlich ihres 80. Geburtstags wurde sie für ihre Verdienste um die Blindenbildung geehrt. Sie begann, ihre Lebenserinnerungen zu schreiben und zog sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück.
Am 8. März 1957 starb Betty Hirsch in Berlin im Alter von 84 Jahren an Altersschwäche.
Vermächtnis
Betty Hirsch gilt als eine der Pionierinnen der modernen Blindenbildung in Deutschland. Mit ihrem Engagement für Ausbildung, Berufsförderung und gesellschaftliche Teilhabe blinder Menschen setzte sie Maßstäbe, die weit über ihre Zeit hinausreichten. Ihr Wirken trug entscheidend dazu bei, dass blinde Menschen als fähige, selbstbestimmte Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen wurden.
Quelle:
- Archiv Behindertenbewegung - berühmte behinderte Frauen
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Persönlichkeit 2
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Persönlichkeit 3
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Fortschritte und Herausforderungen
In vielen Städten und Gemeinden gibt es inzwischen Projekte für mehr Barrierefreiheit – sei es im öffentlichen Nahverkehr, in Gebäuden oder im digitalen Raum.
Auch Unternehmen setzen zunehmend auf inklusive Arbeitsmodelle und Diversitätsstrategien.
Doch der Weg zu echter Inklusion ist noch weit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnert regelmäßig daran, dass die Integration behinderter Menschen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nur wenn Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, kann eine inklusive Gesellschaft entstehen.
Fazit
Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen erinnert daran, dass Inklusion kein Sonderthema, sondern ein Menschenrecht ist. Barrieren abzubauen und gleiche Chancen für alle zu schaffen, ist der Schlüssel zu einer gerechten und vielfältigen Gesellschaft.
Der 3. Dezember bietet eine wichtige Gelegenheit, dieses Ziel sichtbar zu machen – und den Weg in eine Zukunft zu ebnen, in der alle Menschen selbstbestimmt leben und teilhaben können.
Inklusion beginnt im Alltag.
Jede*r kann dazu beitragen – durch Respekt, Offenheit und Bewusstsein im Umgang mit Menschen mit Behinderungen.
Quellen